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Erschienen auch bei Motorrad & Reisen im Heft 82.
Text: Werner Kirchhoff, Isabel Wodrig
Fotos: ADDI creare-imagos
VORGESCHICHTE
Es ist Mitte September und wir sind wieder einmal auf einer Rücktour vom Schwarzwald an die Ostsee. Addi und ich waren in Bad Wildbad/Nord-Schwarzwald und haben dort mit einigen Motorradfahrern ein größeres Fotoshooting zwischen Elsass und Schwarzwald absolviert. Mitten im Geschehen fällt mir unterwegs ein, dass wir hier oben an der Ostsee bei der geraden guten Wetterlage ja gleich noch ein Shooting dranhängen könnten. Schon lange hatten wir uns Fischland-Darß-Zingst und insbesondere das zwischen Stralsund und dort liegende Hinterland vorgenommen. Darauf angesprochen, ist Addi sofort einverstanden, denn nicht minder als ich meint auch er: „Wir sind ja ohnehin jetzt gut dabei – also durchziehen!“ Es ist Donnerstag und ich lege noch während der Fahrt den Termin bereits auf Anfang nächste Woche fest. „Ja, aber wer fährt dann mit?“, fragt mich unser Fotograf gleich im Anschluss. „Das wird sich schon finden.“ Und ich sollte recht behalten.
Stralsund - Duvendiek - Barth - Prerow - Ahrenshoop - Wustrow - Ribnitz-Damgarten - Marlow - Richtenberg - Stralsund
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Zu Hause in Stralsund angekommen, befasse ich mich am Wochenende erst einmal mit der detaillierten Streckenführung – und siehe da: Mehr oder weniger so ganz nebenbei lerne ich Fredy kennen. Er ist Hotelgast, schon einige Tage da und hat die Insel Rügen sowie vieles mehr bereits abgefahren. Auf meine Frage und Anregung, Fischland-Darß-Zingst und das Hinterland dazu entdecken zu wollen, kommt von ihm ein spontanes: „Ja, gerne!“ Trotz meiner Vorwarnung, dass es bei einem Shooting zu mehreren Stopps kommen kann und die Sache damit etwas anstrengend wird, bleibt unser Schweizer Gast mit von der Partie. Addi kann sich natürlich ein Schmunzeln nicht verkneifen, weil er weiß: Dieser Tag wird intensiv. Gemeinsam geht es dann, wie ausgemacht, nur ein paar Tage nach unserer Rückkehr von Bad Wildbad auch schon los.
BASIS-HOTEL – Altstadt Hotel zur Post Stralsund
Frühmorgens machen wir uns von der inzwischen unter Insidern bekannten „MOTOBIKE-AREA“ des Altstadt Hotels aus auf den Weg. Bekannt ist die Garage bzw. der Bereich für die Motorräder hauptsächlich durch die hier in der Wintersaison stattfindenden Partys. Deren Lichtkulisse ist eigens für Motorradfahrer auch im Sommer auf „on“ gedreht.
Die Hotelküche bringt uns routinemäßig ungefragt vier Lunchpakete in die Garage. Wir wollten heute eigentlich einmal außer Haus essen, aber sicher ist ja sicher und wir verstauen sie in unseren Tankrucksäcken.
Ein starkes Team
Der vierte Mann, der sich spontan bereit erklärt, das Cabriolet zu steuern, ist übrigens Bernd, mein Fahrradfreund. Mit ihm kann man, wie man gern so sagt, „Pferde stehlen“. Ohne zu lamentieren ist er dabei und gibt uns als früherer Motoradfahrer, aber insbesondere auch sehr guter Kenner der hiesigen Landwirtschaft gleich zu Beginn wertvolle Tipps. Das Beatle Cabrio, auch ganz kurzfristig vom Stralsunder Autohaus Dürkopp abgeholt, stellt uns Sven Artig, ebenfalls ein guter Freund des Hauses und Geschäftsführer bei Dürkopp, ganz undramatisch und kostenfrei zur Verfügung. Es ist gar nicht so einfach, um diese Zeit ein offenes Fahrzeug zu mieten. Alle namhaften Vermieter zumindest müssen auf Anfrage gleich passen. Doch wir sind mit unserem Beatle, der auch bei oft ganz flotter Fahrt mithält, jedenfalls sehr zufrieden. Wie bereits erwähnt, kommt Fredy aus der Schweiz und ist dort wohnhaft in Lachen, Kanton Schwyz. Er fährt auf einer BMW K 1300 GT, ist seit seinem 18. Lebensjahr schon dabei und unternimmt heute hauptsächlich Touren. Im September befindet er sich meistens 10 bis 14 Tage auf größerer Tour – ob am Mittelmeer oder wie diesmal wieder im Norden ist dabei kein Problem für ihn. Addi, treue Seele unseres Stralsunder, aber auch des Bad Wildbader Hauses, bürgt mit seiner professionellen Ausrüstung und seinem geschulten Auge erneut für bestes Fotomaterial. Sehr gern wäre diesmal auch unsere treue Redaktionsberaterin und heimliche Lektorin Isabel mitgefahren, sitzt sie doch sonst bei rügendruck in Putbus auf der dem Haus gleichnamigen Insel. Dafür kennt sie jedoch Fischland-Darß-Zingst und das Hinterland sehr gut, sodass sie für die geschichtlichen und lokalen Recherchen verantwortlich zeichnet. Mein Job ist es, wie immer, ein bisschen zu organisieren, die Streckenführung entsprechend zu planen und das Team bei guter Laune zu halten. Mit meiner BMW F800 GS ADV bin ich super zufrieden und komme, obwohl fahrerisch sicher immer noch Frischling, sehr gut damit zurecht.
ON TOUR
Alles ist fahrbereit, wir ziehen los und fahren in Richtung Norden aus der Hanse- und Welterbestadt Stralsund heraus. Schon bald finden wir uns unterhalb bzw. gegenüber dem heute als Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft ausgewiesenen Gebiet südlich der Insel Hiddensee wieder, welches von dort über Fischland-Darß-Zingst hinausreicht.
Das nordvorpommersche Hinterland der Ostseeküste, südlich vor den Halbinseln Fischland-Darß-Zingst sowie den Inseln Hiddensee und Rügen gelegen, ist bereits immer Flächenland gewesen und aus diesem Grund seit Jahrhunderten landwirtschaftlich geprägt. Die immer noch in großer Anzahl erhaltenen Herrenhäuser und Gutsanlagen künden vom Reichtum ihrer einstigen Herren ebenso wie von den schwierigen Lebensverhältnissen der pommerschen Landbevölkerung. Seit Urgedenken ist hier jedoch alles eingebettet in wunderschönste Natur, was in den letzten gut hundert Jahren dazu führte, das der Landstrich mittlerweile hauptsächlich vom Tourismus lebt.
Gut Krönnevitz
Zuerst verlassen wir die Hauptstraße einmal kurz und erreichen die Gutsanlage Krönnevitz. Diese liegt circa acht Kilometer in Richtung Barth vor Stralsund und umfasst ein stattliches Herrenhaus mit Rondell, Stall und Park. Im 13. Jahrhundert von der Familie Crane und dem Kloster Neuenkamp verwaltet, gehörte es ab 1696 den ansässigen Familien Bahr, Sodemann, von Sydo und von Klot-Trauvetter.
Das klassizistische, aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammende, hell geputzte Gutshaus mit zweigeschossigem Mittelbau und Mezzanin (halbes Geschoss) beherbergt heute erstklassige, ruhige und in unmittelbarer Natur gelegene Ferienwohnungen.
Neu Bartelshagen / Zühlendorf, Hafen
Über Duvendiek und Lassentin fahren wir unter großen, alten Bäumen weiter. Auch in Neu Bartelshagen steht ein sehenswertes barockes Gutshaus. Die Gemeinde grenzt an das südliche Ufer der Grabow, des östlichen Teils der Darß-Zingster Boddengewässer.
Hier liegt der gemütliche Hafen Zühlendorf, wo wir direkt bis ans Ufer heranfahren und unseren ersten Wasserblick genießen können. Unser Gast aus der Schweiz zeigt sich begeistert von der Idylle und klagt auch nicht ob der ihm sonst so vertrauten, aber ganz sicher fahrerisch anspruchsvolleren Motorradstraßen.
Groß Kordshagen / Hof Thomsen
Unter den schönsten Baumalleen entlang geht es weiter nach Groß Kordshagen. Auch der Ortsteil Flemendorf besitzt einen netten kleinen Hafen an der Grabow. Die schlichte Marienkirche aus dem 14./15. Jahrhundert ist, typisch für die Region, in roter Backsteingotik auf einem Feldsteinsockel errichtet und mit einem sehr niedrigen, verbretterten Kirchturm versehen.
Hier halten wir noch auf dem Hof Thomsen und machen einige Aufnahmen. Mit unserem kleinen Fuhrpark erwecken wir bei den vorbeimarschierenden Touristen deren Neugier und kommen so ins Gespräch. Wir erfahren, dass man mit dem Urlaub auf dem Lande, wie wir hier sagen, sehr glücklich ist.
Barth, Hafen
Auf der Landstraße über Zipke bewegen wir uns nun bei flotter Fahrt durch die herrlichen Alleen nach Nordwesten. Dort liegt das ehemals für lange Zeit politische Zentrum der Region Landkreis Franzburg-Barth, das Städtchen Barth (pommersch: „kleine Erhöhung“).
Nach der politischen Wende 1991 erfuhr der historische Barther Stadtkern eine gründliche Sanierung, was wesentlich zur Steigerung der Attraktivität des Ortes beitrug. Insbesondere der Bereich des Westhafens erhielt neue Reihenhäuser, Restaurants und Läden, die Hafenstraße wurde umgebaut. Auf ihr drehen wir mit den Motorrädern eine Runde durch den Hafen und Addi hält vor dem maritimen Hintergrund fleißig drauf. An einem Fischkutter fast schon vorbeigefahren, legen wir dort noch einen Stopp ein und sagen kurz Kuno guten Tag. Als erfolgreichen Barther Fischbrötchenverkäufer kennen wir ihn gut aus Stralsund. Gern hätte er uns eingeladen, doch wir haben zu tun und nach dem opulenten Frühstück im Hotel auch noch keinen Appetit.
Barth ist übrigens eine der Städte im Ostseeraum, die für sich in Anspruch nimmt, mit dem sagenhaften Vineta in Verbindung zu stehen. Die zu Werbezwecken genutzten Bezeichnungen Vineta-Stadt und Vineta-Museum Barth sind wissenschaftlich allerdings nicht bewiesen. Es gibt keinerlei Bezug zur legendären frühmittelalterlichen pommerschen Stadt Jumne bzw. Jumneta, die heute mit Wollin auf der gleichnamigen polnischen Oderinsel identifiziert wird. Heutzutage eröffnen diese Dinge und der Tourismus jedoch wieder neue wirtschaftliche Perspektiven durch Barths Nähe zur Ostsee und als Tor zur Halbinsel Zingst.
Als Zwischenstopp für einen schnellen Kaffee geben wir an dieser Stelle zwei Empfehlungen: zum einen die Bäckerei Fiedler direkt an der Barther Ortsausfahrt links (Barthestraße 195, 18356 Barth), zum anderen mitten im nächsten Ort Pruchten rechts ab der Dorfstraße die Landbäckerei Dabels (Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, Dorfstraße 5, 18356 Pruchten). Bei diesen Bäckereien kann man mit den Motorrädern auch einfach gut vor der Tür stehen.
Meiningenbrücke
Nach dem Passieren von Pruchten cruisen wir unter Windflüchtern – eine gängige Bezeichnung für die in der hiesigen Gegend typischen, aufgrund des oft starken Windes schräg stehenden, zumeist kleineren Bäume – hindurch. Dann erreichen wir bei Bresewitz den Punkt am so genannten Meiningenstrom, der die Halbinsel Zingst mit dem Festland verbindet: die Meiningenbrücke.
Die Alte Meiningenbrücke wurde von 1908 bis 1912 als Eisenbahnbrücke für die Darßbahn von Barth über Zingst nach Prerow von der Eisenbauanstalt Louis Eilers aus Hannover-Herrenhausen gebaut. Zur Entlastung der nur einspurigen ehemaligen Bahnbrücke wurden in den 1980er-Jahren westlich davon eine 105 Meter lange Behelfsbrücke sowie eine 135 Meter lange Pontonbrücke errichtet.
Bis 2011 nutzte man die Behelfsbrücke für die Fahrt vom Darß aufs Festland, während die alte Drehbrücke dem nordwärts fließenden Verkehr zum Darß diente. In der Winterzeit führte der Verkehr durch eine Ampelsteuerung wechselseitig über die Meiningenbrücke. Bei jeder Schiffspassage musste die Behelfsbrücke jedoch ausgeschwommen werden, im Winter wurde sie sogar komplett ausgelagert.
Aus diesem Grund löste die Pontonbrücke 2012 eine zweispurige, 230 Meter lange Übergangskonstruktion aus Stahl mit Klappmechanismus ab und die alte Drehbrücke wurde für den Verkehr gesperrt. Letztere soll durch einen Neubau ersetzt werden, um die Darßbahn über Zingst bis Prerow erneut zu reaktivieren. Die Usedomer Bäderbahn möchte die Anbindung der 19 Kilometer langen Strecke zusammen mit den Gemeinden und der Landesregierung realisieren – die Meiningenbrücke soll dabei als kombinierte Straßen- und Eisenbahnbrücke neu entstehen.
MERKE! Die Brücken werden jeweils 15 Minuten lang zu festen Zeiten für den Schifffahrtsverkehr in die und aus den westlichen Boddengewässern geöffnet. Außerdem erfolgt dies saisonabhängig, allerdings nur bei Bedarf: viermal täglich im Sommer und ein- bis zweimal wöchentlich im Winter.
Halbinseln Fischland-Darß-Zingst
Voller Spannung bemerkt unser Schweizer Gast nun, dass wir inzwischen auf den Halbinseln sind, die er ursprünglich gar nicht in seinem Urlaubsprogramm vorgesehen hatte. Die sich auf etwa 50 Kilometern zwischen den Hansestädten Rostock und Stralsund ausdehnende Halbinselkette vor der nordvorpommerschen Küste ist zur Ostseeseite hin geprägt von schroffen Steilküsten, dem urwüchsigen Darßwald sowie langen, weißen Sandstränden im Westen und Norden. Im Hinterland finden sich liebliche Boddenlandschaften mit umrandenden Schilfgürteln und weitläufigen Wiesen.
Das unbewaldete Fischland war bis 1394 Insel, seither reicht der westlichste mit dem Festland verbundene Teil nördlich von Dierhagen bis nach Althagen. Historisch gehört es noch Mecklenburg an, die Grenze zu Vorpommern verläuft am „Grenzweg“ in Ahrenshoop. Im Westen schließt der Saaler Bodden an das Fischland an.
Der Darß mit seinem wilden, ursprünglichen Waldbestand wuchs als Folge von Verlandung und insbesondere nach der großen Sturmflut von 1872 mit den anderen beiden Inseln zusammen. Dieser mittlere Teil der Halbinseln gehört bereits zu Vorpommern und grenzt südlich an den Saaler bzw. Bodstedter Bodden. Im Zuge der natürlichen Küstendynamikausgleichsprozesse verlandet sein nördlichster Punkt jedes Jahr mehrere Meter in Richtung Norden, während das Land am Westrand abgetragen wird.
Der Zingst schließt nach Osten an den Darß an und wird nördlich von der Ostsee begrenzt. Der Barther Bodden und Grabow, die zur Darß-Zingster Boddenkette zählen, liegen südlich. Durch Versandung ist die ehemals östlich vorgelagerte Insel Großer Werder eine Halbinsel am Zingst geworden. Im Osten liegt das größere, sehr wildreiche Waldgebiet Osterwald, an welchen sich die Sundischen Wiesen anschließen.
Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft
Hier befinden wir uns übrigens auch am südlichen Ende des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft, dessen landschaftliche Schönheit und Tierreichtum von vielen immer wieder unterschätzt wird. Mit einer Fläche von offiziell 786 Quadratkilometern ist er der größte des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern, sogar drittgrößter Deutschlands und erstreckt sich seit 1990 im westlichen Teil der vorpommerschen Ostseeküste entlang der inneren als auch äußeren Küstengewässer.
Seine halbe Fläche umfasst offene Ostsee, mehr als ein weiteres Viertel umfasst Teile der Darß-Zingster Boddenkette und der Westrügener Bodden. Somit sind besonders die Flachwasser mit unterschiedlichem Salzgehalt geschützt, was widerum eine sehr reichhaltige Flora und Fauna einschließt. Landseitig stehen Teile des Darß und der Halbinsel Zingst sowie der Großteil der Insel Hiddensee und ein schmaler, dem Bodden benachbarter Streifen der Insel Rügen unter Schutz. Küstenwälder aus Kiefern und Buchen sowie Küstenüberflutungsmoore zählen dazu. Im Windwatt finden insbesondere Graukraniche während der Zugzeit einen ihrer wichtigsten Schlafplätze in Westeuropa. Insgesamt brüten 163 Vogelarten im Nationalpark, von denen 67 auf der Roten Liste Deutschlands stehen. Die Bodden sind Heimat von 48 Fischarten, unter anderem Blei, Plötze, Aal, Flussbarsch, Zander und Hecht. Auch Kegelrobben, Seehunde, Schweinswale, Hirsche, Wildschweine, Fischotter, Mufflons, Zwerg- und Fledermausarten sind anzutreffen.
Seebrücke Zingst
Auf der Halbinsel Zingst fahren wir nun bis in ihren namensgebenden Hauptort, der zwischen Ostsee und Bodden liegt. Dieser entstand im Jahr 1817 durch eine Zusammenlegung der drei Siedlungen Hanshagen, Pahlen und Rothem Haus. Selbst bereits im 13. Jahrhundert von den Rügen- bzw. Pommernfürsten urkundlich erwähnt, wurde nach Holz- und Torffabbau sowie etwas Fischerei/Landwirtschaft die Schifffahrt nach der Schwedenzeit zum dominierenden Gewerbe, denn Zingst verfügte nach den Hansestädten Stralsund und Barth ab 1815 über die meisten Segelschiffe in der jetzt preußischen Region – um 1880 wohnten über 80 Kapitäne hier – bevor um diesen Zeitpunkt das Badewesen Einzug hielt.
Heute existiert hier im Ostseeheilbad Zingst einerseits das quirlige Badeleben mit vielen Läden, Hotels und Restaurants. Kulturell voran steht Zingst jedes Jahr für das renommierte Umweltfotofestival „Horizonte“ und das Darßer Naturfilmfestival sowie die Zingster Klaviertage und die Kunstmagistrale. Der Deich ist ein El Dorado für flanierende Fußgänger und Radler.
Andererseits gibt es hier aber auch ganz entspannte, etwas abseits liegende Ortsteile wie Müggenburg oder die ruhigen, naturnahen Campingplätze. Das einzige Regenmoor Mecklenburg-Vorpommerns befindet sich im ausgedehnten Osterwald, wo 1955 sogar Mammutbäume angesiedelt wurden und mit etwas Glück Waldkauz, Sumpfohreule und Baummarder beobachtet werden können. Die sich östlich daran anschließenden Sundischen Wiesen, ein renaturiertes Heide- und Feuchtwiesengebiet, gehören bereits zur Schutzzone I des Nationalparks für die Küstenvögel. In Pramort an der Ostspitze der Halbinsel gibt es einen wichtigsten Kranichbeobachtungspunkt.
Nach einem kurzen Halt am Hafen, in dem wir einige der bekannten Zeesboote mit den braunen Segeln bewundern, fahren wir durch den Ort an die neue Seebrücke. Ihr Vorgängerbau, ein Steg, war bereits 1947 aufgrund von Sturm und Eisgang abbruchreif geworden. Die neue Brücke wurde im Mai 1993 am Hauptübergang neben dem Kurhaus eingeweiht, ist 270 Meter lang und 2,50 Meter breit. Wir genießen eine Bratwurst, Fredy zeigt sich von Brücke und Ostsee begeistert und ich bin froh, dass wir oder besser gesagt: unsere Region ihm im Ausgleich reichlich etwas zu bieten haben, da er von uns so sehr als Modell gestresst wird.
Prerow
Prerow (slawisch: „Graben“, „Durchbruch“) als Hauptort der Halbinsel Darß ist ein traditionelles Seefahrer- und Fischerdorf, welches nach dem gleichnamigen Prerow-Strom benannt ist. Dieser bildet bereits seit dem 14. Jahrhundert eine wichtige Wasserstraße zwischen Barth/Bodstedter Bodden und Ostsee. Die Menschen lebten hier unter schwedischer Lehnsherrschaft von der Landwirtschaft, später von der Segelschifffahrt. Nach der schweren Ostseesturmflut von 1872, die ganz Prerow überschwemmte, wurde der Strom geschlossen.
Auch hier entwickelte sich im 19. Jahrhundert zunehmend der Badetourismus, welcher heute wichtigster Erwerbszweig ist. Einmal sollte man durch Prerow gefahren sein, meint Bernd. Wir folgen ihm bis auf einen Parkplatz im Ort, erfreuen uns an den traditionellen, reetgedeckten Häusern mit den berühmten bunten Haustüren und marschieren vor zum Wasser. Es rentiert sich selbst mit den Motorradstiefeln, obschon hier sonst eher Badekleidung angesagt ist.
Wieck
Der kleine, staatlich anerkannte Erholungsort Wieck (niederdeutsch: „Bucht“) am Darß (a.D.), in den uns die Route als nächstes führt, fand seine erste Erwähnung in der wichtigen Schwedischen Matrikelkarte von Vorpommern und Rügen aus den Jahren 1692/96. Traurige Bekanntheit erlangte Wieck 1941 durch ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme bei Hamburg. Durch seine direkte Lage am Bodstedter Bodden lässt sich hier die Einzigartigkeit und Ruhe der Boddenlandschaft entspannt genießen.
Durch Wieck und auch das folgende Born rollen wir nur langsam und lassen unseren Gast die wunderbaren, alle Wege säumenden alten Katen bestaunen. Bernd wird uns nachher beim Mittagsimbiss noch einen kleinen, höchst interessanten Vortrag über die hiesige ertragreiche und aus diesem Grund weit unterschätze Landwirtschaft halten.
Born
Born (slawisch: „Föhrenwald“) am Darß gilt als schönstes der Darßer Boddendörfer, da es sein ursprüngliches ausgewogenes Erscheinungsbild bis heute weitgehend bewahren konnte. Entlang des Koppelstroms zwischen Bodstedter und Saaler Bodden zieht sich der Ort als Mix aus ehemaligem Bauern-, Fischer- und Seefahrerdorf.
So ganz allmählich stellt sich Hunger ein und ich ziehe es doch vor, unsere Akteure hier zu einer kleinen Mittagsmahlzeit – Fisch, versteht sich – einzuladen. Am Wegesrand bietet sich dazu ein historisches Bauwerk bestens an: Die MÜHLE (Nordstraße 25 , 18375 Born/Darß). Eine weitere Empfehlung für diesen Ort ist auch das Café TonArt (Chausseestraße 58, 18375 Born/Darß).
Ahrenshoop
Nicht weit nach der Ortseinfahrt steuern wir hier rechts ab in den Strandweg 1 zum Kunstkaten Ahrenshoop. Obwohl wir nur davorstehen, nicht hineingehen und daher zusammen mit den Motorrädern natürlich etwas skeptisch beäugt werden, ist dieses bekannte, wunderschön blaue Ausstellungs- und Veranstaltungshaus allemal einen Halt wert. Man sollte dort gewesen sein.
Das alte Ahrneshop, ein bedeutender Handelsplatz mit bis zu 500 Einwohnern, lag etwas nordöstlicher an einem ehemaligen Meeresarm, dem Loop. Ende des 14. Jahrhunderts zerstörten 1.000 Mann aus Rostock jedoch den Seehafen, da die Patrizier ihre Handelsprivilegien gefährdet sahen. Der Loop wurde „verdämmt“ und die Zollstation südlicher an die direkte Grenze zwischen Pommern und Mecklenburg versetzt. Hier wuchs der neue Ort ab 1760 durch Schiffer und Fischer schnell an.
Ahrenshoop ist heutzutage der Künstlerort des Fischlandes, der sich sein malerisches Aussehen bis heute bewahren konnte. Ende des 19. Jahrhunderts entstand hier auf Initiative des Malers Paul Müller-Kaempff eine bekannte Künstlerkolonie. Viele Ateliers und der Kunstkaten als Ausstellungsraum für die Mitglieder der Kolonie wurden ins Leben gerufen.
Nach den zahlreichen Künstlern begeisterten sich auch bald die ersten Badegäste an der Unberührtheit der wunderschönen Natur. Steilküste – wie das 18 Meter hohe Hohe Ufer, eine Kliffranddüne, an der Uferschwalben nisten – und flache Ufer, weite Boddenwiesen und der Küstenwald Ahrenshooper Holz mit Stechpalmenpopulation, offene Ostsee und der Saaler Bodden im Hinterland bestimmen die dynamische, urwüchsige Landschaft, welche überdies noch von natürlichen Küstenausgleichsprozesse begleitet sind.
Wustrow
Anschließend geht es weiter voran bis nach Wustrow (slawisch: „umflossener Ort“ bzw. „Ort auf der Insel“). Dort angekommen, biegen wir gleich rechts auf den Parkplatz einer Motorradbude ab, die bis nach Stralsund insbesondere für ihre Oldtimer bekannt ist (Krull und Söhne, Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, Ernst-Thälmann-Straße 41B, 18347 Wustrow). „Bude“ mag man hier eigentlich gar nicht sagen, denn man ist dort selten gut aufgeräumt und bestens sortiert mit angeschlossener BMW-Werkstatt, die sogar Kundendienst etc. anbietet. Und die alten Maschinen, die hier stehen, sind einfach zum Verlieben! Aber heute ist kein Tag dafür, wir gehen nur kurz hindurch – es ist einfach zu heiß.
Wustrows Ortskern erhielt seit 1991 eine gründliche Sanierung. Neue Hotels und zahlreiche Ferienhäuser wurden errichtet und im Jahr 1993 die Seebrücke gebaut. Das Dorf besitzt eine imposante, 18 Meter hohe Kirche mit herrlichem Rundblick, die den damals dort lebenden Fischern und Seefahrern ab 1873 als Seezeichen den Weg wies. In Wustrow stand von 1846-1992 auch die Seefahrts-Hochschule. Alte Alleen mit hundertjährigen Linden, üppige Bauerngärten, historische Kapitäns- und niederdeutsche Hallenhäuser (in Barnstorf) sowie neuere Gebäude gehen außerdem eine gelungene Synthese ein. Was dieses Ostseebad besonders ausmacht, ist das unmittelbare Nebeneinander der gegensätzlichen Küstenformen: der weitläufige Sandstrand mit toller 230-Meter-Seebrücke auf der raueren Meerseite und die sanfte Boddenlandschaft mit Schilfgürteln und saftigen Wiesen andererseits. Auf nicht ganz legale Weise fahren wir mit unseren Motorrädern wieder einmal direkt bis vor ans Wasser, um die besten Motive auf die Bildhintergründe zu bannen. Mit ein paar netten Worten und mit Bedacht hinweisend auf die Anwerbung neuer Gäste gibt sich dann aber auch der Hafenmeister zufrieden. Für einen leckeren Fischimbiss – auch zum Mitnehmen – empfehlen wir hier am Ortsausgang auf der linken Seite direkt an der Straße Eckhard Hauers Fischverkauf (Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, Ernst-Thälmann-Straße 8, 18347 Wustrow).
Ribnitz
Uns schon auf dem Rückweg befindend, machen wir verdient in der Marktbäckerei Hornung (Lange Straße 54, 18311 Ribnitz-Damgarten) in Ribnitz Halt. Sehr schnell kommen wir dort mit den Mitarbeitern ins Gespräch, die unsere Motorräder bestaunen und sich wissbegierig nach unserem Anliegen erkundigen. Wir bekommen auf jeden Fall schnell und äußerst freundlich sehr gute Ware serviert – eine prima Empfehlung. Sehenswert in der Stadt Ribnitz (ehemals Rybanis, Ryba bedeutet „Fisch“) sind die 1233 errichtete Ribnitzer Marienkirche und das Klarissenkloster von 1323/34. Unter kulturell-historischen Aspekten sind besonders zwei Dinge empfehlenswert: Das Deutsche Bernsteinmuseum im Dominahaus des ehemaligen Damenstifts St. Klaren vermittelt einen Einblick in die Natur-, Kunst- und Kulturgeschichte des Baltischen Bernsteins. Für das Freilichtmuseum Klockenhagen dagegen wurden seit 1973 auf sechs Hektar mittlerweile 20 Beispiele ländlichen Bauens aus den letzten 300 Jahren an ihren ursprünglichen 18 Orten abgetragen und hier wieder aufgebaut. Sie beinhalten zusammen mit Feldern, Gärten und Tieren Schauräume und Ausstellungen. An dieser Stelle können wir bereits sagen, dass wir alles, was wir auf dieser Tour erreichen wollten, super geschafft und erledigt haben. Ein besonderer Dank dabei gilt Bernd, der prima fährt, und unserem Hotelgast Fredy, der alles mitmacht.
Zurück ins BASECAMP OSTSEE TOURER nach Stralsund
Südlich der B 105 donnern wir nun im wahrsten Sinne des Wortes über das flache Land, vorbei an Marlow zurück in Richtung Stralsund. Dort haben wir seit Frühjahr 2017 das „BaseCamp OstseeTourer“, eine Unternehmung des Altstadt Hotels zur Post Stralsund, eingerichtet. Unter diesem Dachnamen vereinen wir nun unser Engagement zum Ausbau des Motorradtourismus in unserer Region. Die Hotel-Arrangements für Motorradfahrer sowie das angebotene Touren-Segment wurden stark erweitert, und neben der „MOTOBIKE-AREA“ in der Hotelgarage organisiert das BaseCamp Stralsund auch viele weitere Aktivitäten rund um die geliebten zweirädrigen Maschinen. Trotz Stalldrangs machen wir jetzt allerdings noch kurz Halt bei Semlow vor dem Schloss Schlemmin – der bedeutendsten Anlage Vorpommerns im Tudor-/Neogotik-Stil und heute Hotel –, um dort einige Fotoaufnahmen zu machen. Natürlich beklagt sich Addi jetzt wieder einmal über die nicht mehr ausreichend vorhandene Sonne. Doch, auch wie immer, sollen die Bilder trotzdem mehr als ganz gut werden. Von hier geht es nun auf direktem Wege – zugegebenermaßen ohne Kurven, doch, wie wir es uns jeweils vornehmen,weiterhin nur auf den Kreisstraßen – bis nach Hause ins Hotel. Angekommen in der „MOTOBIKE-AREA“ klatschen wir ab, freuen uns über die gelungene Tour und gönnen uns ein frisch gekühltes Stiefelbier aus dem Biker-Kühlschrank. Nach einem guten Abendessen im Hotelrestaurant gehen wir noch eine kleine Runde um die Häuser und verabschieden mit diesem Abend gleichzeitig unseren neu gewonnenen Freund Fredy mit den besten Empfehlungen in die Schweiz.