Maibaum-Kontroll-Fahrt

Text: Werner & Franz Kirchhoff, Isabel Wodrig
Fotos: ADDI creare-imagos

Erschienen auch bei Motorrad & Reisen im Heft 91.

Maibäume darf nur stehlen, wer auch selber einen aufgestellt hat, so die Regel. Wir aber wollen ja bei unserer „M-K-F“ nur kontrollieren, was sich da so tut im „Schwäbisch-Alemannischen“. Denn zum 1. Mai wird da wohl kaum ein Ort, den wir zwischen dem nördlichen Schwarzwald und der Schwäbischen Alb durchfahren, ohne Baum sein. Es sei denn, er ist in der Nacht davor, nach gutem Brauchtum, gestohlen worden.

Großer Tourenauftakt mit Driving Event

Von meinem Bruder Franz sind wir, Anika, Addi und ich, Werner, noch vor unserer M-K-F eingeladen ins „Mercedes-Benz Werk Rastatt“ zur einer Werksbesichtigung, die interessierten Besuchern gegen Anmeldung zu den festgelegten Terminen ermöglicht wird, mit einem anschließenden Driving Event auf dem Geländeparcours.
Nach der Führung durch die Produktion sind wir alle begeistert davon, wie hier eine A-Klasse entsteht. Danach gibt es sogar noch ein gutes Mittagessen im hauseigenen Restaurant „Berthas“. Nun heißt es aber für jeden, eine halbe Stunde auf dem Parcours mit einer solchen GLA-Klasse steile Hänge hochfahren, Kurven meistern, Steigungen überqueren und all das, was zu einem solchen Manöver dazugehört. Ein Trainer, der uns über Funk begleitet, weist uns ein und nach einem anfänglich eher flauen Gefühl macht es allen sehr viel Spaß. So verlassen wir mehr als beeindruckt das Mercedes-Benz Werk in Rastatt.

Road Book

Hinfahrt
Bad Wildbad - Höfen - Bad Liebenzell - Calw - Holzgerlingen - Tübingen - Neuffen - Bad Urach - Münsingen

Rückfahrt
Münsingen -  Bichishausen - Marbach - Gomadingen - Sonnenbühl - Melchingen - Killer - Hechingen - Haigerloch - Glatt - Dürenmettstetten - Leinstetten - Erzgrube - Poppeltal - Bad Wildbad

Meetingpoint Bad Wildbad

Von Rastatt geht es weiter über den Kaltenbronn nach Bad Wildbad. Peter Lindemann, unser Gast für diese Wochenend-Tour, ist inzwischen auch dort angekommen. Peter kommt aus Kriftel bei Frankfurt am Main. Neben Addi, dem tourenerprobten Fotografen, wird Anika weiterhin dabei sein und das Begleitfahrzeug steuern. Wir beiden Brüder, Franz und ich, komplettieren unsere diesjährige „Maibaum-Kontroll-Fahrt“. Unsere Redakteurin Isabel, die seit Jahren schon immer wieder die Schwäbische Alb besucht, hat uns eine wunderbare Planungsliste von anzufahrenden Sehenswürdigkeiten und Fotomotiv-Möglichkeiten für die Tage vorbereitet. Zum Abendessen fahren wir kurz nach Enzklösterle ins M&R Hotel und Gasthof „Löwen“, dessen Betreiber übrigens auch ein guter Freund von Franz ist. Von unserer Idee, eine „M-K-F“ zu starten, ist er sehr angetan und wünscht uns alles Gute für eine gelungene Tour. Zurück in unserem Basisquartier „Aparthotel Schwarzwald Panorama Bad Wildbad“ schließt der Abend früh um 22 Uhr ab und wir freuen uns auf die am nächsten Morgen beginnende Tour.

Durchs Hecken- und Schlehen-Gäu

Wir treffen uns pünktlich um 8 Uhr zum Frühstück in unserer „Panoramalounge“. Kurz vor 9 Uhr geht es in die MOTOBIKEAREA, in der Franz ein Briefing mit kurzer Vorstellung der Strecke gibt. Wir starten in Richtung Tübingen und der erste Halt ist Burg Liebenzell. Hier erläutere ich die vorkommende Gesteinsform des Nord-Schwarzwälder Buntsandsteins. Auf einer nun vizinalen, sehr schönen Strecke über Ottenbronn und Hirsau geht es weiter und wir cruisen das schöne Schleiftal hinauf. Auf schönen Nebenstrecken fahren wir durchs Hecken- und Schlehen-Gäu bis Holzgerlingen. Halt für einen Kaffee machen wir im uns zwischenzeitlich schon gut bekannten Café „Vis-à-Vis“.

Schokolade und Universität

Auf und ab führt uns die schöne Strecke weiter bis Waldenbuch. Dort geht es direkt zu RITTER SPORT, wo Museum und Shop noch geöffnet sind. Wir gehen erst einmal etwas shoppen und das Museum besichtigen. Besonders schön sind die Schokoladentafeln aus den 1950er- und 1960er-Jahren anzusehen und ich muss mich zu meinem Alter bekennen und zugeben, diese auch schon als Kind gekannt zu haben. Ab hier geht es durch den tollen Schönbuch zum Kloster Bebenhausen, wo sich uns Gelegenheit bietet ein paar schöne Fahrbilder auf Kopfsteinpflaster festzuhalten. Unser Gast Peter macht gut mit. Ich hatte ihn vorher informiert, dass so einige Aufnahmen gemacht werden müssen, doch da Peter auch Mountainbike-Fahrer ist, besitzt er dafür ausreichend Kondition und hält dem Fotostress gut stand. Dann erreichen wir Tübingen, welches wir am Rand natürlich auch mitnehmen möchten – doch wir haben etwas Schwierigkeiten, in die Altstadt hineinzukommen, es gibt nur noch ein, zwei Gelegenheiten. Es wird entschieden, entlang des Neckars zu fahren, der automatisch in die Altstadt hineinführt.

Auf den Hohenneuffen - eher nicht

Jetzt endlich geht es hoch auf die Alb in Richtung Hohenneuffen. Wir sehen die Burg schon von Weitem. Im Ort Neuffen trinken wir einen Kaffee und erkundigen uns bezüglich der Auffahrt – wir erhalten die Empfehlung nicht hochzufahren, da am Wochenende ordentlich Strafe abkassiert wird. Die Strecke ist für Motorradfahrer übrigens grundsätzlich an Sonn- und Feiertagen sowie samstags gesperrt (dies gilt für beide Richtungen in der Sommerzeit zwischen 1. April und 31. Oktober), eine Umleitung erfolgt über die auch sehr schöne Strecke Beuren.
Am Rande gibt es hier noch eine kleine motorradfahrerische Begebenheit der besonderen Art: Vor Neuffen in Kirchentellinsfurt stellt Peter, hinter Franz fahrend, an einer Ampel fest, dass ein großes Metallstück bei Franz im Reifen steckt. Wir halten und sind extrem überrascht über die Größe des Stücks von circa acht Zentimetern. Messerscharf und spitz steckt es, da Franz Stollenreifen aufgezogen hat, aber nur in einem Stollen fest. Einfach rausziehen ist nicht! Franz schmunzelt: Jetzt weiß ich, warum das Bordwerkzeug unter meiner Sitzbank ist. Glücklicherweise sind wir also noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, denn dieses Stück Metall hätte auch bei jemandem, besonders hinter Franz, im Helm landen können. Dazu blieb uns ein Reifenwechsel erspart.

Biosphärenreservat Schwäbische Alb

Über Hülben setzen wir den Weg nach Bad Urach fort und fahren dann auf die L 249, eine motorradfahrerisch sehr interessante, enge Strecke. Es geht voran nach Münsingen und wir nehmen direkten Kurs auf den ehemaligen Truppenübungsplatz. Leider ist es verboten, in dieses naturbelassene Schutzgebiet hineinzufahren, weil daneben auch das Biosphärenreservat Schwäbische Alb beginnt.

Ankunft in Münsingen

Wir fahren hinunter in die Stadt, gehen in ein Café und erkundigen uns dort nach einer guten Möglichkeit, abendzuessen. Der „Schützen“ in Auingen mit regionaler Kost wird uns wärmstens empfohlen. Wir entscheiden uns jedoch für den Italiener in Münsingen. Unterwegs haben wir heute bereits den einen oder anderen Maibaum, bereit zur Aufstellung, liegen sehen. Unserem Thema verpflichtet bleibend, fragen wir am Tagesziel in Münsingen: „Wann steht bei Euch der Baum?“ Man sagt uns, dass dieser wegen Diebstahlgefahr natürlich erst am Montag aufgebaut wird. Die Spannung, mit der man dies erwartet, ist unüberhörbar.

Biker-Treff "Bootshaus" im Lautertal

Wir frühstücken einwandfrei und wunderbar und wie gehabt gibt es wenige Minuten vor 9 Uhr ein kurzes Briefing. Franz schlägt vor, dass wir uns, bevor es wieder in Richtung Schwarzwald geht, die in Restaurierung befindliche „Schwäbische-Alb-Bahn“ in Münsingen und den Biker-Treff „Bootshaus“ im Lautertal kurz ansehen. Das Bootshaus erreichen wir kurz vor 10 Uhr. Der Wirt „Volker Mack“ ist persönlich vor Ort und gibt uns sogleich bereitwillig ein Interview zu dem von Motorradfahrern so heiß begehrten Lautertal. Mit seinem Gastronomieangebot wendet er sich in erster Linie an Ausflügler und Motorradfahrer. Man bekommt bei ihm alles von der einfachen Suppe über das opulente Schnitzel oder Spätzle mit Linsen und Saiten bis zu veganen Speisen. Mit dem Thema „Maibaum“ hat das Bootshaus aber nichts am Hut.

Pferde in Marbach

Das nächste Zwischenziel ist das Gestüt Marbach. Wir sind alle sehr angetan von der super großen und feudalen Anlage mit ihren prächtigen Stallungen. Am schönsten überdies sind die stolzen Pferde des Haupt- und Landgestüts anzusehen. „Halt!“ ruft es und plötzlich werden wir Zeuge, wie ein Stalljunge sehr professionell einen wunderschönen Hengst bändigt und ihn anschließend gekonnt über die Straße führt. Auf unsere Frage an die Marketingchefin, warum dieser Hengst so schwer zu händeln ist, antwortet sie augenzwinkernd: „Sie wissen doch, wie die Männer sind – er wird gerade zur Deckung geführt.“

Schloss Lichtenstein und Bärenhöhle

Jetzt nehmen wir Schloss Lichtenstein in Angriff, aber Franz lotst uns erst einmal hinunter in den Ort, weil von dort eine schöne Strecke wieder hoch zum Schloss führt. Oben selbst genießen wir ebenfalls das Glück schönstes Wetter zu haben und machen super schöne Aufnahmen. Ganz kurz sehen wir sogar den Schlossherrn, der dort mit seiner Familie lebt. Bereits direkt vor dem Schloss bin ich verwundert über ein Schild mit Pfeil in Richtung Nebelhöhle. Verlockend, jedoch etwa 4,5 Kilometer zu Fuß. Also entscheiden wir, die direkt anfahrbare Bärenhöhle anzusteuern. Heute heißt das Ganze übrigens „Traumland Bärenhöhle“. Ich war dort schon als Schüler, es war sozusagen Pflichtprogramm, geändert hat sich seitdem in der Höhle auch nichts, denn 50 Jahre spielen da ja keine Rolle. Weil Blitzlicht nicht erlaubt ist, hat unser Addi seine Kamera ans ISO-Limit geführt und sein Grinsen im Gesicht ist unübersehbar.

Hohenzollern-Burg Hechingen und Atomkeller Haigerloch

Es geht weiter in den „Zollernalb-Kreis“ (siehe auch Story M&R Heft 84). Wir fahren bis Hechingen und entschließen uns kurzerhand, die so schön kurvige Passage vor der Burg erneut zu fahren. Es entstehen neue Fahraufnahmen vor dem aufregenden Motiv der Burg Hohenzollern, Stammsitz des preußischen Königshauses und der Fürsten von Hohenzollern. An der Stadt Hechingen auf der Landstraße vorbeifahrend, sieht man linker Hand noch lange stets die majestätisch aufragende Burg. In Haigerloch halten wir am Atomkeller und erwischen hier einen Maibaum, der gerade in einer halb gesperrten Straße auf einem Traktoranhänger liegt. Wie sie den wohl vor Diebstahl sichern wollen? Achso, ich weiß das Rezept: Der ist sicher zu groß – und die Straßen zu eng – um gestohlen zu werden. Tipp: Eine Besichtigung des berühmten Atomkeller-Museums, in dem u. a. Otto Hahn geforscht hat, dauert nicht lange und ist sehr interessant.

Wasserschloss Glatt

Auf sehr engen Sträßchen fahren wir nun mit Ziel Wasserschloss Glatt zum Schwarzwälder-Kirschtorte-Essen – die Strecke dorthin kommt wirklich einem kleinen Urwalderlebnis gleich. Am Wegesrand wird uns gewahr, wie eben eine Art Maibaum aufgestellt werden soll, und wir halten an. Bestimmt 15 Jugendliche versuchen, einen schweren Stamm in ein Ständerwerk zu bringen. Wir stellen die Motorräder ab und bieten an, kurz mitzuhelfen. Nachdem der vermeintliche Maibaum dann endlich steht, frage ich, was denn unter dem schwarzen Tuch steht, welches darüber hängt. Da stehe drauf, dass man mit einigem in der „politischen Erwachsenenwelt“ nicht einverstanden sei. Also auch eine Art, das Brauchtum für sich und sein Anliegen zu nutzen. Nun geht es weiter vorbei am Kloster Kirchberg über Renfrizhausen zum Wasserschloss Glatt. Hier gibt es für alle verdient ein großes Stück „Schwarzwälder Kirschtorte“.

Aussichtsturm Dürrenmettstetten und Ankunft in Bad Wildbad

Am hohen Aussichtsturm von Dürrenmettstetten stoppen wir noch kurz, steigen mit unseren Motorradstiefeln – dies ist allerdings etwas beschwerlich – hoch und verabschieden uns von der Schwäbischen Alb, denn von hier hat man eine gute Aussicht auf einen großen Teil des Gesamtmassivs der Alb. Über Leinstetten geht es von hier das Glatttal auf einer sehr geschwungenen Straße hinauf, die uns wieder viel Fahrspaß bietet. Wir fahren die B 28 ein Stück vor und biegen links über Hallwangen direkt zur Nagoldtalsperre ab. Von dort aus geht es über die Kopfmühle und Enzklösterle direkt nach Bad Wildbad. Hier verpassen wir leider ganz knapp die Aufstellung des Maibaums, für die in Wildbad sogar die freiwillige Feuerwehr alljährlich professionell Sorge trägt. Eine schöne Tour ist zu Ende und wir dürfen attestieren: Die Maibäume stehen gut und den Tanz in den Mai haben sich unsere schwäbischen Landsleute wohlverdient.