Text: Victoria Emanuel
Fotos: Jürgen "Juri" Grieschat, Werner Kirchhoff
Erschienen auch bei Motorrad & Reisen im Heft 101.
Wenn man einen Motorradurlaub außerhalb Deutschlands plant, schaut man oft auf der Karte Richtung Süden oder Westen. Die Alpen und auch die Pyrenäen sind beliebte Ziele, aber auch Frankreich, Spanien, Italien und Österreich im Allgemeinen werden von den Motorradfahrern aus Deutschland gerne angesteuert. Weit weniger Tourer richten ihren Blick bei der Planung nach Osten. Wenn, dann geht es oft nach Polen, zum Bespiel entlang der schönen Ostseeküste oder nach Schlesien. Warum nicht mal nach Tschechien? Denn nicht nur die Landschaft Tschechiens ist wunderschön, sondern auch die Städte sehr geschichtsträchtig. Dass auch das BASECAMP OSTSEE TOURER noch nie dort gewesen ist, möchte Werner, der Initiator des BASECAMPs, nicht länger hinnehmen. Schon oft hat ihm sein Freund Juri von diesem Land vorgeschwärmt und so möchte auch er bald Touren dorthin anbieten. Um ein Gefühl für Land und Leute zu bekommen, bittet Werner, eben jenen Freund und ausgemachten Osteuropa-Spezialisten, ihn auf seiner Tour durch Tschechien zu begleiten und ihm mit seiner Ortskenntnis zur Seite zu stehen.
Juri, Beat aus der Schweiz, ebenfalls ein langjähriger Freund, und Fuzzy, der Alpenspezialist haben sich schon in Deutschland getroffen und sind gemeinsam über Ústí nad Labem, Duchcov und Most nach Nepomuk gefahren, wo sie im „U Zeleného stromu“ - Hotel "Zum Grünen Baum“ ihr Quartier bezogen haben. Obwohl die Strecke eher als Transit nach Nepomuk gedacht war, lassen es sich Juri, Fuzzy und Beat nicht nehmen einen kurzen Abstecher zum Autodrom Most zu machen. Hier dürfen laut FIA Tourenwagen, Formelwagen (keine Formel 1) und Trucks Rennen bestreiten. Werner, der gerade aus Bad Wildbad im Schwarzwald kommt, stößt am Abend in Nepomuk zu der Gruppe.
Nepomuk – Míšov – Rožmitál pod Tremšínem – B?eznice – Mirovice – Orlík nad Vltavou – Sobedraž – Burg Zvíkov – Písek – Blatná – Lnáre – Nepomuk
Nepomuk – Preštice – Dobrany – Chotešov – Prehýšov – Ostrov u Stríbra – Stribro – Planá – Mariánské Lázné – Teplá – Karlovy Vary – Loket – Cheb – Marktredewitz – Schwarzenreuth – Bischofsgrün – Bad Berneck
Nepomuk ist der Geburtsort des allseits bekannten Brückenheiligen. Um das Ende vorweg zu nehmen: Johannes Nepomuk wurde gefoltert und in der Moldau ertränkt, schnell als Märtyrer verehrt und schließlich heiliggesprochen. Wieso? Weil er, der Legende nach, das Beichtgeheimnis schützen wollte. Und zwar das der Ehefrau des Königs Wenzel IV. Dieser bezichtigte seine Frau der Untreue und vermutete, dass sie ihr Vergehen dem Priester gebeichtet habe. Als dieser ihm aber nichts verraten wollte, ließ der König ihn foltern und von der Karlsbrücke in Prag in die Moldau werfen, wo er dann ertrank. In Wahrheit, wurde Nepomuk wohl lediglich Opfer eines kirchenpolitischen Konflikts. Ab 1736 entstand in seinem Geburtsort eine barocke Kirche, die ihm geweiht ist. Nördlich der Stadt befindet sich das Schloss Zelená Hora, welches aber nicht öffentlich zugänglich ist.
Die Gruppe lässt es sich natürlich nicht nehmen, im originalen Švejk Restaurant ( Sie erinnern sich sicher alle an den Roman "Der brave Soldat Schwejk" von Jaroslav Hašek) vom Hotel „U Zeleného stromu“ – „Zum Grünen Baum“ zu Abend zu essen. Eine echte Empfehlung. Lediglich in Pilsen gibt es ein weiteres originales Švejk Restaurant. Die anderen, mittlerweile fast 60 Filialen, sind Franchise-Unternehmen.
Rund um Nepomuk
Am nächsten Morgen sitzen alle Tourteilnehmer pünktlich um 8 Uhr beim Frühstück und sind ebenso pünktlich um 9 Uhr bei ihren Motorrädern, bereit zum Start. Heute steht eine Rundtour durch die nähere Umgebung auf dem Plan. Im Gegensatz zu den teilweise langen Strecken, die alle schon auf der Anreise zurückgelegt haben, handelt es sich eher um eine „Spritztour“ mit etwas mehr als 150 Kilometern. Die avisierte reine Fahrtzeit von gut drei Stunden soll dafür genug Zeit lassen, um Land und Leute besser kennenzulernen und sich in Ruhe den Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke zu widmen.
Die Fahrer nehmen Kurs auf und fahren nördlich aus der Stadt heraus. Es geht ins Brdy Gebirge (Brdská vrchovina). Das erstreckt sich von Prag bis nach Pilsen. Der höchste Berg Mittelböhmens, und gleichzeitig höchster Berg des Gebirges, ist der Tok, mit einer Höhe von knapp 900 m ü. NN. Er liegt nur unweit nördlich des heutigen Teilstücks zwischen Míšov und Rožmitál pod Tremšínem.
Als nächstes Ziel wird Breznice angesteuert. Ein kleiner Spaziergang über den sehenswerten Marktplatz lohnt sich auf jeden Fall. Das Schloss gehört dem Nationalen Denkmalamt und wird als Museum betrieben. 1966 wurde es zu diesem Zweck umfassend saniert. Das Highlight des Schlosses ist mit Sicherheit die älteste Schlossbibliothek Böhmens, die Lokšan-Bibliothek (Lokšanská knihovna). Bei einem Besuch sollte der Blick nicht nur den zahlreichen alten Büchern gelten, sondern auch der bemalten Balkendecke. Die Bibliothek ist noch heute im Originalzustand des Jahres 1558. Wer etwas Zeit mitgebracht hat, kann bei einem Spaziergang durch den 20 Hektar großen, englischen Schlosspark seine Gedanken schweifen lassen.
Dann eine Überraschung: Längs der Straße erstrecken sich endlos erscheinende Mohnfelder. Diese alte Kulturpflanze ist eine traditionelle tschechische Frucht. Über 60 Prozent der weltweiten Mohnproduktion kommt aus Tschechien und wird nach Österreich, Polen und Deutschland exportiert, vor allem aber in die slawischen Länder. Denn dort ist Mohn eine der wichtigsten Zutaten für die Bäckerei. In den Köpfen der in Tschechien angebauten Pflanzen ist mit weniger als 0,4 Prozent nur ein Zehntel des Opiumgehalts, der im afghanischen Mohn enthalten ist. Auf jeden Fall ein wunderschöner Anblick, den die Fahrer sehr genießen.
Über Mirovice und Lety erreicht die Gruppe die Burg Orlík nad Vltavou. Anders als die Burg Zvíkov, die kurz danach besucht wird, ist diese noch im Besitz der Familie Schwarzenberg und gänzlich erhalten. Die Familie bewohnt sogar noch einen kleinen Teil der Anlage. Der Großteil der Gebäude beherbergt eine Ausstellung über die Burg- und Schlossgeschichte, sowie über die Familie Schwarzenberg. Weit über Tschechien hinaus ist die Burg bekannt und eines der meistbesuchten Baudenkmäler in Böhmen. Weiter geht es, hinunter zur Moldau, die über die Ždákov Brücke, eine beeindruckende Stahlbogenbrücke, überquert wird. Die Route führt danach südlich, parallel zum Fluss bis zur Vltava Brücke, die die Fahrer wieder auf die linke Seite des Gewässers bringt. Dort, wo Moldau und Otava zusammenfließen, befindet sich die Burg Zvíkov (Klingenberg). Einst war sie eine der Hauptburgen der böhmischen Könige. Mittlerweile ist von der herrschaftlichen Anlage nur noch eine Ruine erhalten. Natürlich ist sie bei weitem nicht mehr so beeindruckend wie die Burg Orlík nad Vltavou, doch auch ihr statten die Fahrer einen Besuch ab.
Gesäumt von Moldau und Otava führt die weitere Strecke zum südlichsten Punkt der heutigen Rundtour nach Písek. Das bekannteste Wahrzeichen ist die Kamenný most v Písku, die Steinerne Brücke über den Fluss Otava. Sie ist die älteste Brücke Tschechiens. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist die Burg, bzw. das, was von ihr noch erhalten geblieben ist: der Westflügel. Dort befindet sich das Museum Práchen. Entlang der Otava stehen zahlreiche Sandskulpturen, kein Wunder, ist Písek doch die sogenannte „Sandburgenhauptstadt Europas“. „Písek“ bedeutet „Sand“ und jedes Jahr ist hier eine Open-Air-Galerie mit Sandskulpturen zu bewundern, wie sie beispielsweise auch auf Rügen oder
Usedom zu sehen sind.
Wer jetzt noch nicht zurück nach Nepomuk möchte, kann einen Abstecher nach Ceské Budejovice (Budweis) machen. Den meisten wird der Name Budweis wohl vom Budweiser Bier „Budweiser Budvar“ bekannt sein. Bitte nicht mit dem amerikanischen „Budweiser“ verwechseln! In den USA wird
das Tschechische Bier unter dem Namen „Czechvar“ vertrieben, in Tschechien als „Budvar“ verkauft. Bei einer Brauereibesichtigung können Besucher das Bier direkt aus dem großen Tank probieren. Für Motorradfahrer bleibt aber nur ein Besuch ohne Verkostung, denn in Tschechien gilt überall die 0,0 Promille-Grenze! Doch auch darüber hinaus ist Budweis einen Besuch wert. Mit mehr als 90.000 Einwohnern ist sie die größte Stadt in Südböhmen und hat eine sehenswerte barocke Altstadt, die seit 1980 auf der Liste der städtischen Denkmalreservate Tschechiens geführt wird. Für Zweirad-Begeisterte lohnt sich ein Besuch des Südböhmischen Motorradmuseums, wie es auf der Homepage heißt „eine der größten der Öffentlichkeit zugänglichen Sammlungen einspuriger Fahrzeuge in der Tschechischen Republik“.
Werner und seine Begleiter drehen stattdessen Richtung Osten ab und machen sich auf den Rückweg nach Nepomuk. Dabei kommen sie durch die Stadt Blatná. Auch hier gibt es wieder ein sehenswertes
Schloss. Das Zámek Blatná ist im Besitz der Familie Hildprandt von und zu Ottenhausen und für die Öffentlichkeit zugänglich.
Jetzt ist es nicht mehr weit, bis zum Ausgangspunkt nach Nepomuk. Am späten Nachmittag ist die Gruppe wieder zurück im Hotel. Gemeinsam schlendern die Fahrer noch einmal durch die Stadt, bevor sie sich auf ein Pils im Švejk Restaurant des Hotels einfinden. Dort treffen sie auf Juris Jan sowie Radek, den Besitzer der Švejk Kette. Spontan werden sie zu einem kleinen Ausflug auf Radeks Bauernhof eingeladen, auf dem die Tiere heranwachsen, die das qualitativ sehr hochwertige Fleisch für die Švejk Restaurants liefern. In kleiner Runde gibt es ein interessantes Gespräch über die aktuelle Lage und die Aussichten in dieser etwas schwierigen Zeit. Hervorragenden Weitblick über die eindrucksvolle Landschaft, besonders des Brdy-Gebirges, bietet ein nahegelegener Aussichtturm. Doch dann lockt die Aussicht auf ein hervorragendes Abendessen wieder zurück nach Nepomuk ins Švejk Restaurant. Zum Abschluss gibt es noch eine Führung mit ein paar kleinen Proben in der wieder hergerichteten Brauerei, die an der alten Gaststätte schon vor über 150 Jahren bestand.
Zurück übers Westböhmische Bäderdreieck
Nach einem guten Frühstück, trifft sich die Gruppe um kurz vor 9 Uhr an ihren Motorrädern. Der Rückweg steht an.
Die Teilnehmer fahren westlich aus Nepomuk heraus und bewegen sich auf kleinen Straßen langsam Richtung Norden. Die bekannte Stadt Plzen (Pilsen) wird dabei südlich umfahren. Immer weiter nördlich geht es Richtung der Deutsch-Tschechischen Grenze, präziser ins Westböhmische Bäderdreieck. Die Orte Marienbad, Franzensbad und Karlsbad sind wohl weltweit bekannt. Die dort entspringenden heilenden Quellen lockten schon Berühmtheiten wie Goethe hierher.
Zuerst durchfahren sie Mariánské Lázne (Marienbad), das südlichste der drei Heilbäder. Von der bedeutsamen Vergangenheit dieses Kurortes zeugen unter anderem die beiden bronzenen Statuen des englischen Königs Edward VII. und des österreichischen Kaisers Franz Josef I., die sich, wie in einen Dialog vertieft, gegenüberstehen. Tatsächlich trafen sich die beiden Herrscher anlässlich des 74. Geburtstages des Habsburgers im Jahr 1904 in Marienbad. Der älteste Sohn von Königin Victoria hinterließ ganz besondere Spuren in seinem liebsten Kurort. Er regte den Bau eines Golfplatzes an, was dazu führte, dass sich in Marienbad der älteste Golfplatz Tschechiens befindet (Royal Golf Club Mariánské Lázne). Wer durch diesen Ort flaniert, erlebt fast allerorts noch die prächtige Architektur der Jahrhundertwende, überstanden doch viele Gebäude beide Weltkriege fast ohne Beschädigungen.
Nun geht es weiter durch das Auf und Ab des Tepler Hochlands immer weiter in den Norden nach Karlovy Vary (Karlsbad). Mondäner als Marienbad kommt er daher, der wohl berühmteste der drei Kurorte. Neben seinen 13 Heilquellen, die immer noch zahlreiche Gäste anlocken, gibt es hier auch das Becherovka Jan Becher Museum. Der grünlich-gelbe Kräuterschnaps, ist weit über Tschechien hinaus bekannt. Im Besucherzentrum kann man nicht nur historische Becherovka-Flaschen betrachten, sondern dank moderner VR-Brillen auch ganz virtuell in die Produktion hineinschnuppern. Echte Handwerkskunst gibt es bei der Glasmanufaktur Moser zu sehen, die seit mehr als 150 Jahren Kristallglas in unterschiedlichen Formen und Farben in Handarbeit herstellt.
Nun könnte die Gruppe weiter gen Norden fahren und Tschechien verlassen, aber dafür ist die Zeit noch nicht gekommen. Also machen sie einen Schlenker nach Westen und fahren nach Loket. Die Fahrer kommen nicht umhin, ihren Blick nach oben, zur „Hrad Loket“ zu richten. Den James Bond Fans mag diese Burg, deren älteste Teile aus dem 13. Jahrhundert stammen, bekannt vorkommen. Richtig, diente sie doch im Film „Casino Royale“ als Kulisse. Einige Räume dieses prachtvollen Bauwerks stehen für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung. Außerdem beherbergt die Burg in einigen Teilen ein Porzellanmuseum.
Nun neigt sich der Tschechien-Besuch aber tatsächlich dem Ende zu. Als letzte größere Stadt wird Cheb (Eger) durchfahren. Nach 1150 wurde hier die Kaiserburg Eger erbaut, von der heute noch der Schwarze Turm, sowie die romanische Doppelkapelle und ein Teil des östlichen Burgwalls erhalten sind. Nördlich des Marktplatzes befindet sich die Basilika St. Nikolaus, wo seit 1996 jährlich in den Sommermonaten Juli und August der Egerer Orgelsommer stattfindet.
Schon verlässt die Gruppe Tschechien und macht sich über Marktredwitz und Bischofsgrün auf den Weg zu ihrem heutigen Quartier, dem Hotel Lindenmühle in Bad Berneck. Vom Hotel und der Freundlichkeit des Personals, sind die Fahrer schnell überzeugt und fühlen sich bei einer Pause auf der Terrasse schon vor dem Bezug der sehr komfortablen Zimmer bestens aufgehoben.
Fuzzy wird sich am nächsten Morgen auf den Weg in Richtung seiner Heimat Tirol machen, während Werner, Beat und Juri noch gemeinsam über die Rhön bis Lauterbach fahren, wo sich dann auch Beat, nach einem gemeinsamen Abendessen, von der kleinen Gruppe Richtung Schweiz verabschieden wird.
Werner und Juri machen sich danach nur noch zu zweit auf den Weg zurück nach Hamburg. Am Abend sitzen die Fahrer in Bad Berneck bei einem gemütlichen Bier und dem leckeren Abendessen des angeschlossenen italienischen Restaurants zusammen und lassen die letzten Tage Revue passieren. Der Nachbarschaftsbesuch in Tschechien hat allen sehr gut gefallen und sie sind sich sicher, dass sie demnächst öfter hierher fahren werden um das Land mit dem Motorrad besser kennenzulernen. Werner freut sich schon darauf auch beim BASECAMP etwas mehr Augenmerk auf dieses Land richten zu können, welches auf seiner Agenda definitiv weiter nach oben gerutscht ist.